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Unterschied zwischen Unternehmenswert und Shareholder Value

Ein Leitfaden für Unternehmer, Investoren und M&A-Berater im Mittelstand


1. Einleitung: Zwei Kennzahlen – ein Ziel

Im Kontext einer geplanten Firmenübernahme, Geschäftsübernahme oder Unternehmensnachfolge begegnen Käufer und Verkäufer regelmäßig zwei entscheidenden Begriffen: dem Unternehmenswert (auch „Enterprise Value“) und dem Shareholder Value (auch „Eigenkapitalwert“). Beide Kennzahlen dienen der Unternehmensbewertung, unterscheiden sich jedoch hinsichtlich Methodik, Aussagekraft und Relevanz im Transaktionskontext.

Für Unternehmer, die ihre Firma verkaufen möchten, sowie für Investoren, die ein Unternehmen kaufen, ist es essenziell, diese Unterscheidung zu verstehen. Sie bildet die Grundlage für eine rechtssichere und wirtschaftlich fundierte Kaufpreisfindung.


2. Unternehmenswert (Enterprise Value): Gesamtwert des operativen Geschäfts

Der Unternehmenswert beschreibt den Wert des Unternehmens als wirtschaftliche Einheit – unabhängig von der aktuellen Kapitalstruktur. Er bildet die Grundlage für die Ermittlung des Kaufpreises in M&A-Transaktionen und reflektiert die operative Ertragskraft.

2.1. Bewertungsverfahren zur Bestimmung des Unternehmenswertes

a) Discounted-Cash-Flow-Methode (DCF)

Die DCF-Methode basiert auf der Abzinsung zukünftig erwarteter, freier Cashflows unter Berücksichtigung eines angemessenen Kapitalkostensatzes (WACC). Diese Methode erfordert detaillierte Planungsrechnungen und ist insbesondere bei größeren Transaktionen die präferierte Bewertungsgrundlage.

b) Multiplikatormethode (EBITDA-Multiple)

In der Praxis wird häufig ein EBITDA-Multiple verwendet. Hierbei wird das Ergebnis vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen (EBITDA) mit einem branchenüblichen Bewertungsmultiplikator multipliziert. Dieses Verfahren ist im Mittelstand weit verbreitet und basiert auf Vergleichstransaktionen.

Ergebnis: Beide Methoden führen zur Ermittlung des Enterprise Value, welcher als zentraler Referenzwert im Rahmen von Kaufpreisverhandlungen dient.


3. Shareholder Value (Eigenkapitalwert): Was dem Verkäufer verbleibt

Der Shareholder Value ergibt sich aus dem Unternehmenswert unter Abzug verzinslicher Schulden und unter Berücksichtigung überschüssiger liquider Mittel. Er stellt den wirtschaftlichen Wertanteil dar, der dem Anteilseigner bei einer Firmenveräußerung tatsächlich zufließt.

3.1. Formel zur Ermittlung des Shareholder Value

Unternehmenswert (Enterprise Value)
+ überschüssige Liquidität
– verzinsliche Verbindlichkeiten
+/- Anpassung des Betriebskapitals (Working Capital)
= Shareholder Value (Eigenkapitalwert)

 
Diese Struktur ist insbesondere für Kaufverträge relevant, in denen ein sogenannter Cash-and-Debt-Free-Ansatz vereinbart wird. In diesem Szenario wird davon ausgegangen, dass das zu veräußernde Unternehmen ohne verzinsliche Schulden und ohne überschüssige Barmittel übergeben wird.

3.2. Bilanzpolitische Einflussgrößen

Ein Verkäufer kann den Shareholder Value unmittelbar beeinflussen, etwa durch:

  • die Optimierung des Working Capital (z. B. Eintreibung offener Forderungen)

  • Reduzierung nicht betriebsnotwendiger Lagerbestände

  • Nutzung kurzfristiger Lieferantenverbindlichkeiten zur Liquiditätssteigerung

Diese Maßnahmen erhöhen den Barmittelbestand und beeinflussen somit den erzielbaren Veräußerungserlös.


4. Praxisbeispiel zur Abgrenzung

Ein Unternehmen erzielt ein jährliches EBITDA von 500.000 EUR. Der branchenübliche EBITDA-Multiplikator beträgt 5.

Ermittlung Unternehmenswert (Enterprise Value):
500.000 EUR × 5 = 2.500.000 EUR

Finanzstruktur:

  • verzinsliche Schulden: 600.000 EUR

  • überschüssige Liquidität: 100.000 EUR

  • Working-Capital-Korrektur: –50.000 EUR

Ermittlung Shareholder Value:
2.500.000 – 600.000 + 100.000 – 50.000 = 1.950.000 EUR

Fazit: Der realisierbare Eigenkapitalwert – und damit der potenzielle Erlös beim Unternehmen verkaufen – beträgt 1.950.000 EUR.


5. Juristische Relevanz in der Vertragsgestaltung

Im Rahmen der Transaktionsstrukturierung ist die korrekte Abgrenzung zwischen Unternehmenswert und Shareholder Value ein zentraler Punkt in Letter of Intent, Kaufverträgen sowie in Closing-Klauseln. Insbesondere bei Earn-out-Regelungen, Kaufpreisadjustierungen und der Definition betriebsnotwendiger Vermögenswerte ist höchste Präzision geboten.

Fehlerhafte oder unklare Definitionen können zu nachvertraglichen Streitigkeiten führen und die wirtschaftliche Finalität der Geschäftsübernahme gefährden. Deshalb ist eine frühzeitige juristische Begleitung durch spezialisierte M&A-Rechtsanwälte sowie ein fundiertes Financial Due Diligence-Verfahren dringend anzuraten.


6. Fazit: Klarheit schaffen für Käufer und Verkäufer

Die Unterscheidung zwischen Unternehmenswert und Shareholder Value ist kein rein theoretisches Konstrukt – sie bestimmt die wirtschaftliche Realität jeder Firmenübernahme. Während der Unternehmenswert als Bewertungsanker dient, ist der Shareholder Value die entscheidende Größe für den Transaktionserfolg auf Verkäuferseite.

Unternehmer, die ihre Firma verkaufen, und Investoren, die ein Unternehmen kaufen möchten, sollten sich frühzeitig über die Bewertungslogik, vertragliche Definitionen und finanzielle Konsequenzen klar werden. Nur so kann eine strukturierte, rechtssichere und für beide Seiten vorteilhafte Transaktion realisiert werden.